Biggi Berchtold
Liebesromane mit Herz

Leseprobe
"Stepbrother is watching you"


Kapitel 7

Es ist bereits nach null Uhr, und ich arbeite gerade an einer Mathearbeit über Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Wenn ich das Wort Potenzen lese, muss ich jedes Mal grinsen. Ja, potent bin ich, und wie. Nur die Frau, die ich will, möchte nicht. Ich sollte vielleicht mal etwas für mich ausrechnen. Zum Beispiel, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie sich doch auf mich einlässt. Meine Gedanken bringen mich zum Lächeln. Einen Versuch wäre es wert. Motiviert reiße ich ein neues Blatt aus meinem Block und beginne sofort mit der spannendsten Aufgabe, die ich jemals rechnen musste, als mein Handy klingelt. Da ich Wichtigeres zu tun habe lasse ich es durchklingeln und widme meine volle Aufmerksamkeit meiner Berechnung.

Als es erneut läutet, sehe ich aufs Display. Fuck! Jenna! Sicher ist was mit meinem Auto.

»Jenna?« Mein Herz rast wie verrückt.

»David, ich … ich habe ein Problem.«

Mir rutscht das Herz in die Hose. »Du hast mein Auto geschrottet?«, gebe ich aufgebracht von mir.

»Nein, nichts von all dem, was du dir gerade ausmalst. Du hast mir dein Auto mit leerem Tank gegeben.«

Ich zucke mit der Achsel, wohlwissend, dass sie es nicht sieht. »Ja, und? Immerhin wolltest du mein Auto und jetzt musst du eben tanken. Wo liegt das Problem?«

»Da, wo ich mich gerade befinde, gibt es aber keine Tankstelle«, faucht sie.

»Du wolltest doch in die Prärie. Das ist also nicht mein Problem.«

»Oh doch! Weil ich sonst nicht mehr heimkomme«, höre ich sie zischen.

Ich seufze. »Kann dich denn niemand von deinen Freunden zur Tanke fahren? Hey, es ist bereits ein Uhr nachts.«

»Das geht nicht, weil alle sturzbetrunken sind und ich schon viel zu weit weg bin.«

»Gott, Jenna! Kannst du nicht vorher auf die Tankanzeige schauen, bevor du losfährst? Wo steckst du?«, frage ich gereizt.

»Ich … ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Irgendwo auf dem Highway zwischen irgendwelchen Käffern. Mein Gefühl sagt mir, dass ich mich verfahren habe.«

»Die Beschreibung ist ja sehr originell. Wie glaubst du, soll ich dich finden? Ob ich es mal mit hellseherischen Fähigkeiten versuchen soll?«, presse ich genervt hervor und stehe vom Stuhl auf. »Schalte doch mal an deinem Handy das GPS an. Vielleicht erfahren wir dann mehr.«

»Okay«, murmelt sie in den Hörer. Nach wenigen Augen-blicken sagt sie: »Ich bin irgendwo zwischen Georgetown und Southpark auf der 509.«

»Gut …, also … ich komme dann«, sage ich seufzend.

»Danke, danke, danke … Du hast was gut bei mir.« Oh ja, ich wüsste auch schon, was.

»Bis ich komme, bleibst du bitte im Auto sitzen und ver-riegelst die Tür. Hast du die Warnblinker an?«

»Jetzt. Okay.«

»Türen zu?«

»Ja, gerade eben«, sagt sie kleinlaut.

»Okay, es kann etwas dauern, bis ich bei dir bin. Muss schließlich vorher noch zur Tanke und dich anschließend suchen.« Ich lege auf und verlasse mein Zimmer. Mein Dad ist zwar da, schläft aber bereits. Ich schnappe mir seinen Autoschlüssel und fahre los.

Nach über zwei Stunden finde ich Jenna endlich an einem Waldrand. Den Benzinkanister habe ich vorher an einer Tankstelle randvoll gefüllt. Als ich hinter ihr zum Stehen komme, springt sie förmlich aus dem Auto und läuft mir heulend in die Arme. Jetzt tut sie mir fast schon leid, obwohl sie sich selbst in diese Situation gebracht hat. Automatisch lege ich meine Arme um sie, drücke sie an meine Brust und streichle über ihr Haar.

»Schhhh … Jetzt ist ja wieder alles gut.« Doch sie kann nicht aufhören, zu heulen.

»Hey …«, sage ich nach einer Weile in sanftem Ton. »War das Warten jetzt so schlimm?«

»Ich … ich musste mal für kleine Mädchen und das wollte ich nicht am Straßenrand. Bin dann ein Stückchen in den Wald gelaufen, wo sich plötzlich leuchtende Augenpaare von irgendeinem Tier auf mich gerichtet haben. Ich hatte solche Angst«, erzählt sie stockend und wird immer wieder von tiefen Schluchzern geschüttelt.

»Kannst du überhaupt noch Autofahren, so wie du zitterst?«

Sie nickt. »Ich glaube schon.«

»Jetzt beruhig dich erst mal. Nicht, dass du meinen Wagen tatsächlich zu Schrott fährst, hm?«, sage ich aufmunternd und lächle sie an. Sie nickt wieder. »Okay, dann setz dich schon mal ins Auto und ich fülle den Tank.«

Wenige Minuten später hat Jenna sich wieder beruhigt und ist startklar.

 

*

Es ist kurz vor fünf, als wir zu Hause ankommen. Zum Glück ist heute Samstag, sonst hätte ich meine Vorlesungen geschwänzt. Ich bin hundemüde. Im Zimmer reiße ich mir die Klamotten vom Leib und werfe mich geradewegs aufs Bett, als es an der Tür klopft.

»Ja?«, murmle ich in mein Kissen.

Jenna betritt mit einem kurzen Nachthemd mein Zimmer und schließt hinter sich die Tür. »Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?«

Urplötzlich werde ich hellwach. »Bei mir oder mit mir?«, frage ich erstaunt.

Sie verdreht die Augen. »Nein, nicht mit dir. Neben dir.«

»Gut. Ich hätte jetzt ehrlich gesagt keine Energie, mich um dich zu kümmern. Ein anderes Mal gerne.« Ich grinse. Ehe ich mich versehe liegt sie schon neben mir und wickelt sich in die Decke ein.

»Nur zur Info: die Decke gehört auch mir. Das heißt, ich brauche auch noch ein Stückchen davon, auch wenn ich im Grunde heiß bin.«

»Wieso hast du nur eine Decke?« Es klingt vorwurfsvoll.

»Würde eine Frau bei mir schlafen, dann hätte ich in der Regel vorher Sex mit ihr. Und deshalb hab ich eine doppelt so breite Decke, weil ich diese Person dann auch während des Schlafens spüren wollen würde.«

»So, wie das klingt, hat bei dir noch nie jemand übernachtet?« Jenna scheint sich darüber zu freuen.

»Dazu sage ich nichts.«

»Oh … Was ist mit Stephenie? Hat sie schon hier geschla-fen?«

»Jetzt wirst du aber neugierig.«

»Mir kannst du es ja sagen. Schließlich bin ich deine Schwester.« Sie grinst breit.

»Ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht, was das zwischen uns beiden ist. Geschwisterliche Gefühle sind es jedenfalls nicht. Oft habe ich den Eindruck, dass du mich auch willst.«

»Lenk nicht vom Thema ab, sag schon …«

»Nein, hat sie nicht.«

»Wer hat was nicht?«

»Sie. Hier. Bei mir.« Ich stöhne genervt.

»Was meinst du?«

»Hast du getrunken? Du hast mich doch eben gefragt, ob Steph bei mir gepennt hat.«

»Ja. Und, hat sie?«

Ich gebe es auf. »Jenna, ich glaube, wir sollten schlafen, bevor ich dir an die Gurgel gehe.«

Sie kichert plötzlich. »Das war doch nur Spaß. Natürlich wusste ich, wovon du sprichst. Ich kann irgendwie nicht schlafen und finde es lustig, dich zu necken.«

Im nächsten Moment rolle ich mich auf sie, greife nach ihren Händen und lege sie über ihren Kopf. Mein Gesicht ist ganz nah an ihrem, Nase an Nase. Sie liegt nun bewegungs-unfähig unter mir, was mich ziemlich anmacht.

»Du hast keine Ahnung, wie ich dich necken könnte, wenn ich dürfte.« Ich spüre förmlich, wie es zwischen uns zu knis-tern beginnt. Ihr Atem kommt stoßweise, denn mit meiner Aktion hatte sie wohl nicht gerechnet.

»Gute Nacht«, hauche ich ihr zu und lege mich wieder auf meine Seite des Bettes. Es kostet mich eine wahnsinnige Überwindung, nicht sofort über sie herzufallen, obwohl ich todmüde bin. Als ich meinen Kopf zur Seite drehe, höre ich sie immer noch laut atmen. Sehr gut.